Deutschland - Vincent Klink - Wielandsöhe Stuttgart
Zum Selbstmord von Bernard Loiseau - von Vincent Klink
Der berühmte französische Spitzenkoch Bernard Loiseau nahm sich mit einem Jagdgewehr das Leben. Offenbarer Grund: Der französische Restaurantführer "Gault Millau" hatte ihn herabgestuft. Lesen Sie dazu den Kommentar von Vincent Klink.
Es ist erfreulich wie die Medien dem Beruf des Kochs in den letzten Jahren ihre Aufmerksamkeit zukommen lassen. In Frankreich gab es das schon immer. Bei uns erst seit einigen Jahren, die Spezies des Starkochs. Da will jeder hin, und Bernard Loiseau hat diesen beschwerlichen Weg von ganz unten in den Olymp der Küchenhelden geschafft. Dies zu einem sehr hohen Preis.
Sein Betrieb in Saulieu im nördlichen Burgund hielt sich an der Spitze, mit genauso viel Personal wie Gästen. Und dies bedeutet enorme wirtschaftliche Schwierigkeiten.
Um das Zentrum seines ehrgeizigen Schaffens, sein ziemlich großes Restaurant Côte d'Or zu stützen, wurden Bistros in Paris eröffnet. Sein Konterfei ließ er auf Tütensuppen kleben und zur Kapitalbeschaffung notierte er seinen Betrieb an der Börse. So weit so schlecht.
Er war in den französischen Gourmetcharts noch beliebter als Paul Bocuse, ein enormer Schaffer, sympathisch und bodenständig. Eigentlich war er etwas introvertiert, was er sich aber nicht anmerken ließ und was auch viel Kraft kostet. Ein Mann wie ein Dampfhammer, und gerade diese sind oft sensibler als man glaubt. Ich habe bei ihm gegessen und habe in seinem Restaurant wirkliches Gaumenglück erlebt. Er gehörte auch zu jenen, die meinen beruflichen Werdegang justierten.
Als Luxusrestaurant in entlegener Provinz war er sehr von den Veröffentlichungen der Presse abhängig. Nach Saulieu muss man pilgern, kaum jemand kommt dort zufällig hin. Seine diesbezüglichen Ängste kann man leicht nachvollziehen.
Nun fand man ihn neben seinem Jagdgewehr und Paul Bocuses Kommentar zu seinem Freitod trifft den "Gault Millau" zurecht: Sie haben ihn getötet!
Vorweg, "Gault Millau" ist ein Lizenslabel und von Land zu Land verschieden in der Qualität. Beispielsweise gab es in Österreich früher qualitative Turbulenzen, heute wird er von Köchen gelobt.
Der französische "Gault Millau" hat mit dem Deutschen auch nur den Namen gemein, beide haben jedoch dasselbe wirtschaftliche Problem. Restauranttests sind sehr teuer und von einem Verlag für ein einzelnes Buch schwer zu leisten.
Mauscheleien sind an der Tagesordnung. Die Bücher kommen jedes Jahr neu heraus, also muss sich ständig etwas darin ändern.
Neuzugänge guter Köche finden nicht diese Resonanz wie das Schlachten eines Promikochs. Diesmal traf es Bernard Loiseau, der mental dieser Situation nicht gewachsen war. Natürlich ist Restaurantkritik nie ganz aus der Luft gegriffen. Damit meine ich die seriöse Beurteilung des Michelins oder die ausführlichen Reportagen in großen Zeitungen.
Ich habe da meine Erfahrungen und auch Einsichten. Allerdings ist mir nicht nachvollziehbar, wie man an einem "Gault Millau" Urteil resignieren kann. Mag sein, dass dieser Führer in Frankreich einen höheren Stellenwert innehat als hier bei uns. In Deutschland sind die Auflagenzahlen, wie gemunkelt wird, ziemlich betrüblich. Ärgerlich ist aber, in Frankreich wie in Deutschland, dass viele örtliche Zeitungen die Beurteilungen dieses äußerst schlecht recherchierten Buchs häufig kommentarlos übernehmen.
Das Original verfügt nur über eine miserabel unterbesetzte Testequipe, die sich größtenteils aus neurotischen Amateuren zusammensetzt. Mit dem Inkognito dieser Herren hapert es oft.
Wesentlich heftiger ist die Verschleierungstaktik, ob, und wie oft getestet wird. Soviel zeigte eine SWR-Sendung vor zwei Jahren, die kritisch darüber etwas erfahren wollte.
Soviel wurde aber auch klar, für solide Arbeit reichen die Mitarbeiter nicht aus. Was die Essensfreude anbelangt, da bekam ich immer schon beim Anblick des deutschen Chefredakteurs heftige Zweifel. Wann übt sich dieser Mann im Essen oder in der Beurteilung seiner Zuträger? Der oberste Gerichtsherr des deutschen "Gault Millau" sieht aus wie ein ausgezehrter Puritaner, dagegen leuchtet Clint Eastwood wie ein bacchantischer Wonneproppen.
Man greift sich an den Kopp: Eine der Ursachen, warum sich in Frankreich wie bei uns unzählige Köche von einem solchen Restaurantführer gängeln lassen, liegt aber daran, dass das Köchlein bei einigermaßen guter Beurteilung sein Maul hält, denn man ist ja behütet in den Charts. Fragt sich wie lange?
Auswege gibt es immer. Zu hoffen bleibt, dass der Tod dieses wunderbaren Kochs, uns überlebende Köche zum nachdenken zwingt, ob Ruhm zu jedem Preis sein muss.
Auf alle Fälle wird auf lange Sicht die Sternegastronomie umdenken müssen. Moderne Spitzengastronomie muss schlichter werden, für den Gast einigermaßen bezahlbar sein und ohne riesige Bankkredite reüssieren können.
Vielen Dank an Paul Bocuse, der mutig in Frankreich einen tapferen Schritt tat, als er die "Gault Millau"-Kritiker Eunuchen nannte, die alles wissen und nichts können. Schade um Bernard Loiseau, der an diesen Leuten gescheitert ist.
Vincent Klink, 2003