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Deutschland - Vincent Klink - Wielandsöhe Stuttgart

Neues ist selten, und was bleibt? Wo die Vorspeisen fliegen - Ein Streifzug durch die Kochbücher - von Vincent Klink

Nichts ist vergänglicher als des Koches Werk, auch dann, wenn es mal schwer verdaulich sein sollte. So drängt es die Löffelschwinger seit Jahrhunderten ans Schreibpult, um etwas Unsterblichkeit zu erlangen.

Vincent´s Küchenwand

Einer, der seinen Beruf und sich selbst sehr ernst nahm, war Guillaume Tirel. Er nannte sich Taillevent, also Schneidewind, und schrieb um 1489 sein berühmtes Werk "Le Viandier". Bezeichnenderweise nannte er sein Buch nicht "Le Legumier", also nicht "Gemüsekoch", sondern ihm ging es ums Fleisch, final um sein eigenes.

Herr Schneidewind dürfte als Professioneller ein sehr scharfes Messer verwendet haben, als er dasselbe gegen sich richtete, sich in sein Schlachtermesser stürzte, um der Schmach auszuweichen.

Nicht große Steinbutte, nur mickriges Grobzeug wurden für ein königliches Bankett angeliefert. Er war verzweifelt und am Ende seines Küchenlateins, konnte er doch seinen Herrn und König nicht nach gewohnter Manier zufriedenstellen. Der Mann war ein Versager, denn kleine Fische können köstlich zubereitet werden. Solche Rezepte waren jedoch in seinem Buch offensichtlich nicht aufgeführt.

Damals schon wie heute: Für die Köstlichkeiten im Einkaufskorb findet sich oft nicht das genaue Rezept, vom einem hat man zuwenig, vom anderen zuviel, vom Wichtigsten manchmal gar nichts. Man wird sich als Koch, ob beruflich oder aus privater Neigung, damit abfinden müssen, dass Kochkunst nicht völlig exakt definiert und ausgeführt werden kann, sondern immer den Keim des Kompromisses in sich birgt.

Werktreue, nach exakten Rezepten ausgerichtete Kocherei, birgt oft den Kern des Versagens und der Depression. Wir Deutschen haben ja einen sprichwörtlichen Perfektionsdrang, den allenfalls der Dreisternekoch erfüllen kann. Es setzt das Maß der Kulinarik, oder sagen wir gleich Artistik. Leider beinhaltet dies Wort auch den Begriff des Artifiziellen. Dies ist genau der Umstand, der mit der Philosophie des Bauches, des Sinnlichen nicht harmonieren will.

Die Sehnsucht des Zeitgeists, der Drang nach Neuem, ist durch die Trägheit des Bauches, die stockkonservativen Gewohnheiten unserer Eingeweide, in Schranken gewiesen. Das Dilemma dürfte sein, dass die Welt der Technik vom Fortschritt geprägt ist und unser Leib seit Jahrtausenden der gleich hinfällige ist.

Die Welt der Kochbücher und die Verfasser derselben möchten nur zu gerne aus diesem Bannkreis des Unvermögens ausbrechen, und so kommt es zu Neuschöpfungen wie beispielsweise die "Flying Amuse Gueules", ein Riesenwort für einen Riesenblödsinn. Auf kleinen Tellerchen werden durcheinander zwanzig verschiedene Appetithäppchen gereicht, die im Stehen und Laufen eingenommen werden.

Kochbücher zu deren Herstellung gibt es momentan unzählige. Doch gutes Essen steht für Entschleunigung, die moderne Welt hingegen befindet sich unter dem Diktat zunehmender Hektik.

Im Sitzen zu Essen ist nach den Philosophien des Zeitgeists also völlig out. Man hat in Bewegung zu bleiben. Die Welt der Singles sucht krampfhaften Kontakt, also sind Parties zu zwischenmenschlichen Karussellfahrten degeneriert.

Die "People" sind auf der Jagd, nach was, ist noch nicht ganz geklärt, denn binden möchte man sich nicht. Im Stehen und Gehen, so cool wie möglich, sucht man auf Events menschliche Wärme und möchte sich aufeinander zu bewegen. Das erinnert an den einsamen Marathonläufer, der sich gerne ein Mädchen anlachen und ihr das Laufen näherbringen wollte, um sich so näher zu kommen. Er war auf dem Trimmdichpfad, aber immer zu schnell, und so verloren sich die Beiden aus den Augen.

Seit der Urmensch, von wilden Tieren gehetzt, sich seine Beute reinschlang, war es sein Bestreben, in Ruhe mit Weib, Kindern und in schützender Behausung, bei friedlichen Gesprächen die Töpfe zu leeren. Nein, nicht nur sich zu sättigen, sondern den Moment des Essens, das Glücksgefühl eines vollen Bauches zu genießen und dafür zu danken, dass es soweit kam. Das waren die Koordinaten, und sie gelten heute noch.

Eine gewaltige Kulturleistung wurde vor diesem Hintergrund bewältigt. Sie begann mit liegender Einverleibung bei den Römern, bereicherte uns mit der Grande Cuisine und der entsprechenden Tafelkultur auf feinem Gestühl, an weißem Tuch.

Klassische Regeln wurden entwickelt und diese in Büchern vor dem Vergessen bewahrt. Verfügt man über eine einigermaßen passable kulinarische Bibliothek, so kann man den Geist vergangener Epochen, der Lebensstile und der kulturellen Leistung, gut an Kochbüchern abgleichen.

Sucht man heute eine Buchhandlung auf und klopft das Angebot auf kulturhistorische Merkmale ab, so wird einem angst und bang. Um den genießenden Kulturmenschen geht es nur noch in Ausnahmefällen, allenfalls werden in schwülstig-bunten Fotobänden nostalgische Genussoasen abgefeiert.

Die Genüsse der Toskana werden da auf gescheuerten Refektoriumstischen ausgebreitet, paradiesische Paellas unter Palmen besungen, oder es locken deutsche Regionalküchen in historischen Gasthäusern. Ein kulinarisches Klein-Hollywood wird da abgevespert, der moderne "way of life" und auch die gute alte Zeit besungen.

Man findet in den unter der Last von überflüssigen Büchern gequält durchgebogenen Regalen brandneue Ware der momentanen Trends. Die Kochbücher der "Jungen Wilden", Männer auf verlorenem Posten, denn auch sie werden alt. Junge Köche können meinetwegen gerne aus ihrem subjektiven Erfahrungsbunker ihrem Novitätenrausch huldigen. Mit ihrem Ungestüm haben sie das Recht Gewagtes aufs Tischtuch zu bringen, immer wieder ergibt sich eine interessante Variation. Wer nichts wagt, der nicht gewinnt! Viel Neues ist jedoch bald vergessen und doch bleibt einiges.

Wirklich Neues? Oft wird zu wenig in alten Büchern gelesen, um zu erkennen, dass Brandneues ein alter Hut sein kann. Zu Zeiten der Nouvelle Cuisine wurde die Erfindung des Sorbets gefeiert, - ich war dabei und bekenne mich schuldig -, als hätte man einen neuen Stern entdeckt. Wenig später mussten wir Neuerer uns damit abfinden, dass bereits Kleopatra sich damit ihre Libido angekurbelt hatte.

Warum also all die vielen Bücher? Genau, die Verleger gibt es ja auch noch, und deren Maxime rechtfertigt, dass dem Hobbykoch jede Menge Überflüssiges aufs Auge gedrückt wird. Die verlegerische Binsenwahrheit stimmt nach wie vor: Ein gutes Buch ist ein verkauftes Buch. Wirklich frische Ware wird man aus den Kochbuchmüllhalden der Buchmesse allerdings schon ziehen können.

Die Crossoverküche ist erst richtig am anlaufen. Sie bringt in der Tat wirklich Neues. Vornehmlich unzulängliches Wissen um die eigene Kultur, arglos vermengt mit der Unkenntnis fremder Kulturen.

Mit kochender Kreativität haben die multikulturelle Melange selten etwas gemein. Der moderne, meinetwegen supercoole Typ, hat auch nur einen heimatlich geprägten Geschmackssinn, wollen hoffen, nicht ausschließlich von Mac Doof?

Selbst modernste Zungen orientieren sich an kindlichen Erlebnissen, an Mutters Reisrand, an der Rahmsoße, und sei es auch nur an seltene, erinnerungswürdige Küchenzufälle im elterlichen Haushalt.

Vermutlich führen kulinarisch schöne Erinnerungen zu einem Empfindungskanon, der zwar oft durch Moden verdrängt, letztlich aber doch traditionell befriedigt sein will und so Bodenhaftung und menschliche Identität festigt. Nichts gegen fremde Genüsse, aber sie werden auf lange Sicht immer nur als Regulativ, als Gegenpol der regionalen Erfahrung, der eigenen Kultur dienen können.

An den momentan aufgelegten Kochbüchern kann man diese These festmachen. Je mehr Rezepte aus fernen Ländern besungen werden, um so kräftiger der Wunsch nach bodenständigen, heimischen Rezepten, nach kultureller Standortbestimmung.

Der kulinarische Ursinn wird momentan mit Macht durch "Fit for Fun" und den bis zum Irrsinn gefeierten sportlichen Körper, den Altar des Zeitgeists, auf schwankendes Terrain geschoben. Unsere genießerischen Sinne sind jedoch nicht sehr innovationsfreudig. Gutes Essen macht satt und dick, wer nicht jeden Tag Holz hackt wird sich in der zugeführten Menge beschränken müssen.

Vincent Klink, Dezember 2002

Photo: © Hofmaier.com
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